Mittwoch, 20. Juni 2007

One person play

Zwölf englischsprachige Eingenkompositionen – zwischen Jazz, Blues, Pop und Musical – präsentiert Jacid Jewel auf ihrem Debütalbum „One Person Play“. Eine Begabung für den eingängigen Song zeichnet sie aus, auf Lückenfüller verzichtet sie. Jacid Jewels Gesang ist im Vergleich zum Konzert unaufgeregter, ironiefreier und stellt sich mehr in den Dienst der Stücke. Die Qualität ihrer tiefen Stimme wird umso deutlicher. Was bei der CD noch mehr als beim Konzert auffällt: Nicht alle Texte sind gelungen. Zu klischeehaft ist der Umgang mit der englischen Sprache, der zuweilen die Emotionalität der Songs stört und ihre Glaubwürdigkeit verhindert.
Die Produktion gibt den Liveklang gut wieder. Keine technischen Spielereien, aber dafür ein voller unplugged-Sound. Schnellere Stücke wie „the preacher“ verlieren kaum an Dynamik und begeistern vor allem mit ihren Klaviersoli. Für 15 Euro (einschließlich Versand) kann die CD auf www.jacid-jewel.de bestellt werden.

Mein Text erschien am 11.06.2007 in der "Hildesheimer Allgemeinen Zeitung"

Lieder für Romantiker

Eine Stimme und ein Klavier. So das musikalische Konzept der Solokünstlerin Anna-Maria Thönelt, die unter dem Künstlernamen Jacid Jewel auftritt. Auf den Punkt gebracht könnte man auch sagen: „One person play“. Unter diesem Titel ist das Debütalbum der gebürtigen Hildesheimerin erschienen. Einige der darauf enthaltenen Songs spielte sie am Freitagabend in der „Bischofsmühle“ und stellte ein vielseitiges Programm vor.
Traurig und langsam setzt das Klavier ein. „All alone“ singt Jacid Jewel mit ihrer dunklen Stimme. Ein melancholischer Song, gemacht für einen einsamen Abend an einer Hotelbar. Ein wenig wie in Sofia Coppolas Film „Lost in Translation“. Alleine ist Jacid Jewel in der gut besuchten Bischofsmühle nicht und wird vom Publikum auch nicht allein gelassen. Ein Großteil der Lieder sind Eigenkompositionen, die schon beim ersten Hören vertraut klingen. „Clinking, clanking strings“ ist so ein Beispiel. Eingängiger kann ein Refrain kaum sein. Vieles erinnert an die großen Pop-Balladen der achtziger und neunziger Jahre, beispielsweise an Whitney Houston oder Cher, deren Songs sie an diesem Abend covert. Es ist Musik, die das große Gefühl nicht scheut. Geschrieben für unverbesserliche Romantiker, ein Soundtrack für die nicht ganz kitschfreien Momente des Lebens. Berührend ist ihr Song „Deep Water“, den sie hier an der Innersten geschrieben hat.
In ihrer Performance wechselt sie immer wieder die Tonlage, wirkt leidend und flirtet mit dem Publikum. Allzu ernst nimmt sie sich dabei nicht und überhöht zuweilen die gängigen Bühnenposen. Dem Publikum gesteht Jacid Jewel: „Ich habe diese CD nicht gemacht, um schön, berühmt und reich zu werden, sondern um Menschen zu verbinden.“ Damit ihr dies auch an diesem Abend gelingt, verschenkt sie einem jungen Herrn die Hülle von „One person play“ und einer Zuschauerin die dazugehörige CD. Ein zum Scheitern verurteilter Versuch, Menschen zusammenzubringen, da sie beide bereits vergeben sind. Allerdings nur ein kleiner Rückschlag, denn in der zweiten Hälfte des Abends hat sich das ganze Publikum zusammengefunden. Fast alle Singen gemeinsam: „Oh Champs Élysées“.
Doch nicht nur Herzschmerzlieder präsentiert Jacid Jewel, sondern neben schnelleren Stücken wie „the preacher“ auch deutschsprachige Songs aus einem früheren Kabarettprogramm. In „Männer“ verzweifelt sie an einem Macho, Ökoanhänger und Frauenversteher und gesteht in einem weiteren Lied Ulrich Wickert ihre Liebe. Dabei geht sie bis zum Äußersten: „Dein Name hat mich so inspiriert, da hab ich ihn gleich eintätowiert.“
Ebenfalls deutschsprachig wird das nächste Album. „Deine Lieder“ soll es heißen. Zwei Stücke daraus präsentierte sie an diesem Abend. Kein Kabarett, sondern so gefühlvoll wie ihre aktuelle englischsprachige CD. Dass das Konzert für Jacid Jewel ein Heimspiel ist, zeigte sich gegen Ende. Einem Fanwunsch kam sie nach und spielte ihren Tango „birdie“. Als Zugabenhöhepunkt dann ein Song von Ina Deter. Das Klavier wird gegen eine Gitarre eingetauscht und die Mutter in Köln darf über das Handy mithören. Schliesslich war sie es, die das Lied der Tochter immer vorgesungen hat. Irgendwoher muss so ein Talent ja auch kommen.

Mein Text erschien am 11. Juni 2007 in der "Hildesheimer Allgemeinen Zeitung"

Jonathan Franzen. Die Unruhezone

Wer wissen möchte, ob Jonathan Franzens Roman „Die Korrekturen“ autobiographische Züge trägt, ist mit „Die Unruhezone“ – seinem neuen Buch – ganz gut bedient. „Eine Geschichte von mir“ heißt es im Untertitel. Assoziativ erzählt Franzen von seiner Kindheit und Jugend im mittleren Westen der USA und von den prägenden Momenten seines Lebens. Auch in diesem Buch ist die Familie kein besonders heimeliger Ort. Dennoch ist Franzen nicht unbedingt ein Verächter dieser Lebensform. Nach gescheiterter Ehe, einem Liebesabenteuer mit einer deutlich jüngeren Frau ist es die Vaterschaft, die er jetzt herbeisehnt. „Die Unruhezone“ offenbart keine intimen Details aus dem Privatleben Franzens, sondern vielmehr die Ursprünge seines literarischen Schaffens. Neben der Familie nehmen seine Lektüreerlebnisse einen besonders großen Raum ein. Der deutsche Literaturkanon, von Goethe bis Thomas Mann, gehört dazu. Ebenso die phantastische Literatur von Tolkien oder C.S. Lewis. Alles keine großen Überraschungen. Viel interessanter sind die Bezüge zu den „Peanuts“-Comics von Charles M. Schulz. „Schulz war nicht Künstler, weil er litt. Er litt, weil er Künstler war“, stellt Franzen fest. Will man sich mit den Romanwelten Franzens näher auseinandersetzen, sollte man „Die Unruhezone“ lesen. Aber auch die „Peanuts“.

Veröffentlicht in der Juni-Ausgabe des Magazins "Stadtkind"

Show must go on

Karl Miller nimmt mit selbst geschriebenem Musical Abschied

Still und heimlich hätte Karl Miller Hildesheim verlassen und sein neues Engagement am Deutschen Theater in Göttingen antreten können. Doch so einfach geht das nicht. Vor allem nicht in einer gut funktionierenden Beziehung. Denn ohne Zweifel ist die Liebe zwischen Karl Miller und seinem Publikum eine gegenseitige. Und so verabschiedete er sich am Donnerstagabend im Stadttheater von seinen treuen Zuschauern mit einem wirklich großen Knall. Nicht mit der üblichen Late-Night Show, sondern mit einem eigens geschriebenen Musical.
Miller braucht nicht viel, um das Publikum für sich zu gewinnen. Kaum betritt der Engländer im weißen Anzug und pinkem Hemd die Bühne, schon setzt der tosende Applaus ein. Dabei hat Miller die CD mit dem berühmten Jingle seiner Show vergessen und ist, so muss er gestehen, der einzige, der seinen Text nicht auswendig kann. Karl Miller ist der Star des Abends und zugleich der Mann im Hintergrund. So wie ein Woody Allen-Film ohne Woody Allen. Auch wenn er im Stück nur als Erzähler auftritt, sind die Dialoge und Songtexte typischer Karl Miller-Humor. Thorsten zum Felde hat die sehr musicalgerechten Lieder – zwischen Rockoper und Kitschballade - komponiert. Und so singt der King (Arnd Heuwinkel) den angemessen rockigen Eröffnungssong „Ich bin eine Rampensau“. Er ist ein Großkotz in Leopardenjacke und Schlangenlederhose. Ein Dieter Bohlen des Kulturbetriebs, dem alles gelingt: ob Theater, Film, Literatur oder Musik. Völlig anders der sensible Schauspieler (Moritz Tittel). Will der King mit „Ups, das waren meine Hosen“ den finanziellen Erfolg, träumt der Schauspieler mit „Die Hunde von Tublonsk“ vom ernsten Theater. Eigentlich hat der Schauspieler keine Chance, sich durchzusetzen. Gäbe es da nicht die Frauen. Die Künstlerin (Lisa Scheibner) verführt ihn mit ihrem radikalem Theaterverständnis und Baby Doll (Antonia Tittel) mit ihrem Sexappeal. Die eine macht ihn somit zum Mittäter an Kings Ermordung und die andere zum willenlosen Trottel, der seine Ideale verrät.
Einige grandios komische Szenen sind Karl Miller geglückt. Beispielsweise wenn der King nicht als Geist, sondern als Zombie zurückkehrt oder die beiden Frauen sich einen Kampf liefern, der an Quentin Tarantinos „Kill Bill“ erinnert. Der Intendant (Karl-Heinz Ahlers) versteht die Stücke nicht mehr und die Pressetante (Gisela Aderhold) will aus allem eine Sexgeschichte machen. Die düsteren Schwestern (Bernward Twickler, Ludmilla Heilig, Bettina Sörgel), angelehnt am Chor griechischer Tragödien, und Karl Miller nehmen allein schon durch ihre Präsenz für sich ein. Alles in allem eine Mischung aus seriösem Theater, Musical und Pulp Fiction. Und am Ende wirklich der große Knall. Die Künstlerin sieht sich zur Sprengung genötigt und das Ensemble singt dem Abend angemessen „Who knows what tomorrow will bring“. Die Zukunft ist ungewiss. Oscarreif bedankt sich Karl Miller bei den Schauspielern, beim Haus, bei seiner Frau und Tochter und natürlich auch bei seinem Publikum. Nicht enden wollende Standing Ovations folgen und am Schluss konnte man sich auf der Bühne von Karl Miller mit Sekt persönlich verabschieden. Nur gut, dass Göttingen nicht allzuweit entfernt ist.

Mein Text wurde am 16. Juli in der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung veröffentlicht

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