Theater

Montag, 2. Juli 2007

Regiesieger in der letzten Runde

Der 5. Wettkampfabend im "Hildesheimer Kurzdrammenwettbewerb": Matthias Spaniel gewinnt

Während in Klagenfurt die ersten Autoren um den begehrten Bachmannpreis kämpfen, ging es beim „Hildesheimer Kurzdramenwettbewerb“ – gefördert von der Universitätsgesellschaft und der Stadt Hildesheim - am Donnerstagabend in die fünfte und letzte Runde. Alexander Möckel aus Gera stellt mit „Kasperle im Zauberland“ die Märchenwelt auf den Kopf und Jürgen Bühner verhandelt mit „oben“ Fragen von Macht, Geschlecht und Sexualität. Inszeniert wurde der Dramenwettstreit von Matthias Spaniel, Student der szenischen Künste an der Universität Hildesheim.
„Zauberland ist abgebrannt“ sang einst Rio Reiser. Und auch in Alexander Möckels Stück ist nichts mehr so, wie es früher war. Der Teufel (Fabian Schütze) ist arbeitslos, denn alles Böse wurde schon einmal getan. Gretl (Anna Köpnick) wird vom fiesen Kasper (Florian Brand) verführt und vom lüsternen Großvater (Karoline Kähler) sexuell mißbraucht. Der Fuchs (Knut Gabel) findet nichts mehr zu fressen, da all die anderen aus Habgier listiger sind und wird zur Beute des Krokodils (Vanessa Lutz). Am Ende bekommt der Teufel königlich verbrieft, der sensibelste, netteste und freundlichste Mensch zu sein. Simpel ist der Rollentausch und konservativ die Weltsicht. Der Kaspar ist jetzt der Bösewicht und früher war alles besser. Eine Woche – so will es das Reglement – hatte Spaniel Zeit, aus dieser holzschnittartigen Story etwas rauszuholen. Dabei werden in der Inszenierung aus den Schwächen des Textes starke Momente. Wie in einem Kasperletheater bewegen sich die Schauspieler fast nur auf einer Linie und reden in einer überbetonten kindgerechten Sprache. Besonders schöner Einfall: Die Texte sind an Fleischerhacken befestigt und werden dramaturgisch mit einbezogen. Auch die Jury war von Möckels Drama nicht wirklich begeistert. Julia Kastner vom Theaterhaus Hildesheim kritisierte das abrupte Ende und John Birke von der Universität Hildesheim die teils fehlende klare Haltung.
Umso überraschender, dass dem zweiten Text – obwohl deutlich anspruchsvoller – mit 5,3 dieselbe Punktwertung zu Teil wurde. Jürgen Bühners „oben“ ist eine lyrische Aneinanderreihung von Wortketten und nur schwer zugänglich. Dennoch bietet das Drama für Interpretationen genügend Anhaltspunkte. Ein Dialog zwischen einem SIE (Vanessa Lutz) und einem ER (Knut Gabel), in dem es um Fragen der Machtausübung geht. Sport und Sexualität sind die Austragungsorte dieses Wettkampfes. Spaniel vertraut auf die Kraft des Textes und reduziert diesen auf ein einziges Bild: ER stemmt, auf dem Boden liegend, SIE hoch. Mit „ich / oben“ beendet SIE, über ihn schwebend und mit den Armen rudernd, das Machtspiel und wirft ihm eine Ladung Mettfleisch ins Gesicht. Spaniel ist es vor allem gelungen die beiden unterschiedlichen Stücke zusammenzuführen. Zuvor war das Fleisch Sinnbild für die Ermordung des Fuchses durch das Krokodil. Die Jury zeigte sich vor allem begeistert von der Regie. Der Kulturwissenschaftler Thomas Kästle fand es sehr schön, dass der Zuschauer zum Voyeur wird, Birke sprach von einem starken Zugriff auf den Text. Und so steht bereits fest: Spaniel erhält mit einer Bewertung von 7,3 den Regiepreis der Jury. Die vier Preise für Text und Inszenierung, verliehen von Jury und Publikum, werden am 05. Juli im Theaterhaus überreicht.

Mein Text wurde am 30.06. in der "Hildesheimer Allgemeinen Zeitung" veröffentlicht

Dienstag, 26. Juni 2007

Babylonisches Sprachgewirr

Das Trio „Theatre du Pain“ mit „Wortbrot und Fischgesang“ zu Gast in der Kulturfabrik

Die Welt erklären möchte das Bremer Trio „Theatre du Pain“ nicht. Gemäß dem Tocotronic-Motto „Pure Vernunft darf niemals siegen“ setzt man auf Chaos und Irritation. Mit ihrem neuen Programm „Wortbrot und Fischgesang“ zeigten die drei Schauspieler und Multiinstrumentalisten im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Blue Moon“ in der Kulturfabrik: Kunst lässt sich empfinden, verstehen muss man sie nicht.
Bereits das Bühnenbild weckt Erwartungen. Am rechten Bühnenrand steht ein vertikal aufgestelltes Bett, links ein alter Filmprojektor und von der Decke baumelt ein Schlittschuh. Ansonsten: Blasinstrumente, Gitarren und ein Schlagzeug. Ein Kuriositätenkabinett, dessen Bedeutung sich kaum erahnen lässt.
Der Abend beginnt biblisch. Den Satz „Im Anfang war das Wort“ versucht eine Frau im Off vergeblich einem stotternden Jungen beizubringen. Zugleich halten die drei Schauspieler Einzug. Mateng Pollkläsener wird von Wolfgang Suchner und Hans König in einem Metallbottich durch den Saal gezogen, nassgespritzt, mit Gurken gefüttert und auf die Bühne gekippt. Anschließend wird ihm andeutungsweise der Kopf mit einer Motorsäge geöffnet, der Inhalt mit Zutaten verrührt und in einer sahnemäßigen Konsistenz zu Essen gegeben. Im Hintergrund läuft der Beach Boys-Klassiker „Good Vibrations“. Als wäre es an Grausamkeiten noch nicht genug, gebiert Pollkläsener durch einen Kaiserschnitt eine riesige Zunge. Eine groteske Szenerie, lustig und brutal zugleich, die an das absurde Theater oder an die surrealistischen Filme von Buñuel und Dali erinnert. Auf eine dramaturgische Handlung wird in den meist kurzen Szenen verzichtet und die Namen, Berufe oder biographische Details der drei Akteure spielen keine Rolle. Lediglich durch ihre billigen, aber farblich unterschiedlichen Anzüge, lässt sich eine irgendwie geartete Zugehörigkeit erahnen. Der Zuschauer wird so auf die eigene Vorstellungskraft zurückgeworfen und ist angehalten, sich selbst zurechtzufinden.
Doch Anhaltspunkte gibt es. Strukturiert wird das Programm durch fremdsprachige Telefonanrufer mit denen eine Kommunikation, als Folge des babylonischen Sprachengewirrs, unmöglich erscheint. Auch innerhalb der eigenen Sprache kommt ein wirklicher Dialog nicht zustande. Die Gespräche folgen keiner Logik und sind von dem Selbstbehauptungswillen des einzelnen geprägt. Vielleicht ist es auch einfach nur Ausdruck von Panik. Denn so die melancholische Feststellung: „Die Worte entsprechen der Welt nicht mehr“. Ein Gespräch über die Gründung einer GmbH wird zu einem Gespräch über verhältnismäßiges Durchgreifen im Sinne der Gemeinnützigkeit und die kulturelle Projektförderung zur Förderung des Oktoberfestes. Auch die Musik bietet da keine Abhilfe. „Ich will ein besserer Mensch werden“, „Reise nach Fürchtebrücken“ oder „Es liegt ein Scheißhaufen im Zimmer“ heißen die Songs und parodieren gekonnt populäre Musikstile. Mal balladesk mit Akustikgitarre, mal rockig mit elektrischer Gitarre, Tuba und Schlagzeug. Es ist eine verführerische Musik, die in der Lage ist, jeden Text an den Mann zu bringen. Nur schwer konnte sich das Publikum von „Theatre du Pain“ und somit von einem nicht ganz schmerzfreien Humor verabschieden.

Mein Text erschien am 26. Juni in der "Hildesheimer Allgemeinen Zeitung"

Mittwoch, 20. Juni 2007

Show must go on

Karl Miller nimmt mit selbst geschriebenem Musical Abschied

Still und heimlich hätte Karl Miller Hildesheim verlassen und sein neues Engagement am Deutschen Theater in Göttingen antreten können. Doch so einfach geht das nicht. Vor allem nicht in einer gut funktionierenden Beziehung. Denn ohne Zweifel ist die Liebe zwischen Karl Miller und seinem Publikum eine gegenseitige. Und so verabschiedete er sich am Donnerstagabend im Stadttheater von seinen treuen Zuschauern mit einem wirklich großen Knall. Nicht mit der üblichen Late-Night Show, sondern mit einem eigens geschriebenen Musical.
Miller braucht nicht viel, um das Publikum für sich zu gewinnen. Kaum betritt der Engländer im weißen Anzug und pinkem Hemd die Bühne, schon setzt der tosende Applaus ein. Dabei hat Miller die CD mit dem berühmten Jingle seiner Show vergessen und ist, so muss er gestehen, der einzige, der seinen Text nicht auswendig kann. Karl Miller ist der Star des Abends und zugleich der Mann im Hintergrund. So wie ein Woody Allen-Film ohne Woody Allen. Auch wenn er im Stück nur als Erzähler auftritt, sind die Dialoge und Songtexte typischer Karl Miller-Humor. Thorsten zum Felde hat die sehr musicalgerechten Lieder – zwischen Rockoper und Kitschballade - komponiert. Und so singt der King (Arnd Heuwinkel) den angemessen rockigen Eröffnungssong „Ich bin eine Rampensau“. Er ist ein Großkotz in Leopardenjacke und Schlangenlederhose. Ein Dieter Bohlen des Kulturbetriebs, dem alles gelingt: ob Theater, Film, Literatur oder Musik. Völlig anders der sensible Schauspieler (Moritz Tittel). Will der King mit „Ups, das waren meine Hosen“ den finanziellen Erfolg, träumt der Schauspieler mit „Die Hunde von Tublonsk“ vom ernsten Theater. Eigentlich hat der Schauspieler keine Chance, sich durchzusetzen. Gäbe es da nicht die Frauen. Die Künstlerin (Lisa Scheibner) verführt ihn mit ihrem radikalem Theaterverständnis und Baby Doll (Antonia Tittel) mit ihrem Sexappeal. Die eine macht ihn somit zum Mittäter an Kings Ermordung und die andere zum willenlosen Trottel, der seine Ideale verrät.
Einige grandios komische Szenen sind Karl Miller geglückt. Beispielsweise wenn der King nicht als Geist, sondern als Zombie zurückkehrt oder die beiden Frauen sich einen Kampf liefern, der an Quentin Tarantinos „Kill Bill“ erinnert. Der Intendant (Karl-Heinz Ahlers) versteht die Stücke nicht mehr und die Pressetante (Gisela Aderhold) will aus allem eine Sexgeschichte machen. Die düsteren Schwestern (Bernward Twickler, Ludmilla Heilig, Bettina Sörgel), angelehnt am Chor griechischer Tragödien, und Karl Miller nehmen allein schon durch ihre Präsenz für sich ein. Alles in allem eine Mischung aus seriösem Theater, Musical und Pulp Fiction. Und am Ende wirklich der große Knall. Die Künstlerin sieht sich zur Sprengung genötigt und das Ensemble singt dem Abend angemessen „Who knows what tomorrow will bring“. Die Zukunft ist ungewiss. Oscarreif bedankt sich Karl Miller bei den Schauspielern, beim Haus, bei seiner Frau und Tochter und natürlich auch bei seinem Publikum. Nicht enden wollende Standing Ovations folgen und am Schluss konnte man sich auf der Bühne von Karl Miller mit Sekt persönlich verabschieden. Nur gut, dass Göttingen nicht allzuweit entfernt ist.

Mein Text wurde am 16. Juli in der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung veröffentlicht

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