Mit Hardrock gegen Lebenskrisen

Der Ruhrgebietsautor Frank Goosen liest in der Kulturfabrik aus seinem neuen Roman

Pop und Rock kommen in die Jahre und ans Aufhören ist nicht zu denken. Zumindest nicht für die „Rolling Stones“, Bob Dylan oder „The Who“. Musik, die mal Teil einer Jugendbewegung war, wird jetzt von betagten und gut betuchten Männern zum Besten gegeben. Manchmal würdevoll und manchmal der eigenen Vergangenheit hinterher hinkend. Es ist ein Kampf gegen das Alt-Werden und gegen die frühzeitige Pensionierung. Aber gleichzeitig auch ein Stück Lebenshilfe für die Menschen, die sich mit Musik gern an vergangene Zeiten zurück erinnern. So, wie die fünf Freunde in Frank Goosens neuem und gerade erschienen Roman „So viel Zeit“. Mit diesem war der Autor von „Liegen lernen“ am Mittwochabend zu Gast in der gut besuchten Kulturfabrik, eingeladen von Amei`s Buchecke.
Bulle, Konni, Rainer und Thomas sind Mitte vierzig, leben in Bochum und arbeiten als Arzt, Lehrer, Anwalt oder Pornobildtexter. Die wichtigsten Entscheidungen zwischen Hausbau und Kinderkriegen haben sie bereits hinter sich gebracht. Und weil dies so ist und Männer mittleren Alters bekanntlich in Sinnkrisen geraten, träumen sie bei ihren regelmäßigen Doppelkopfabenden von einer gemeinsamen Band. Es fehlt nur noch der fünfte Mann, denn auch ihre Helden von „Deep Purple“ waren zu fünft. Die Freunde erinnern sich an Ole, der vor Jahren aus geheimnisvollen Gründen nach Berlin ging. Der Coolste von einst, ist jetzt der rastlose Verlierer.
Goosens Roman ist nichts anderes als eine Comedy-Seifenoper. Die Geschichte bietet wenige Überraschungen und erscheint daher allzu vertraut. Viel eher setzt Goosen auf Situationskomik und braucht die Story nur, um seine Ideen zusammenzuhalten. Betrachtet man „So viel Zeit“ als Kabarettprogramm, ist es allerdings äußerst amüsant. Und Kabarett macht Goosen bereits seit 1992. Auch in der Kulturfabrik gelingt es ihm, zum Lachen zu bringen Mit seiner imposanten Statur, dem Ruhrpott-Dialekt und seinen ruppigen Ansagen verkörpert er das Ruhrgebiet so, wie man es sich vorstellt: Ehrlich, herzlich und direkt. Der in Bochum lebende Autor tritt eher als Malocher auf und bedient nicht so sehr das gängige Schriftstellebild. Ähnlich wie die Figuren im Roman, die alle nicht bei Opel am Band arbeiten, sich aber dennoch so geben. Aber gerade aus diesen Widersprüchen entsteht die Komik. Dies stellt Goosen in der Kulturfabrik vor allem mit einer Passage über den ersten Auftritt der Band unter Beweis. Die fünf wiedervereinten Freunde nennen sich jetzt „Mountain of thunder“ und beschallen eine 70er Jahre Mottoparty. „Vor dem Tennisclub kamen die ersten BMW, Mercedes, Golf Cabrio und New Beetle an. Männer mit Perücken und Batik-T-Shirts stiegen aus, Frauen in wallenden Kleidern und Clogs“, heißt es zu Beginn und nach einem energiegeladenen Konzert und einer zwölfminütigen Version von „Child in time“ werden aus den kostümierten Spießern nahezu Revoluzzer.
Am Ende der Lesung stellt Goosen sich die sonst üblichen Fragen gleich selber. Festzuhalten ist: „So viel Zeit“ ist jedenfalls nicht autobiographisch und das nächste Buch wird ein Ruhrgebietsfamilienroman. 2010 soll es erscheinen. Essen und das restliche Ruhrgebiet sind dann Kulturhauptstadt Europas und Goosen ein Vertreter dieser Region.

Mein Text erschien zuersten in der "Hildesheimer Allgemeinen Zeitung" vom 23.08.2007

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