Lieder für Romantiker

Eine Stimme und ein Klavier. So das musikalische Konzept der Solokünstlerin Anna-Maria Thönelt, die unter dem Künstlernamen Jacid Jewel auftritt. Auf den Punkt gebracht könnte man auch sagen: „One person play“. Unter diesem Titel ist das Debütalbum der gebürtigen Hildesheimerin erschienen. Einige der darauf enthaltenen Songs spielte sie am Freitagabend in der „Bischofsmühle“ und stellte ein vielseitiges Programm vor.
Traurig und langsam setzt das Klavier ein. „All alone“ singt Jacid Jewel mit ihrer dunklen Stimme. Ein melancholischer Song, gemacht für einen einsamen Abend an einer Hotelbar. Ein wenig wie in Sofia Coppolas Film „Lost in Translation“. Alleine ist Jacid Jewel in der gut besuchten Bischofsmühle nicht und wird vom Publikum auch nicht allein gelassen. Ein Großteil der Lieder sind Eigenkompositionen, die schon beim ersten Hören vertraut klingen. „Clinking, clanking strings“ ist so ein Beispiel. Eingängiger kann ein Refrain kaum sein. Vieles erinnert an die großen Pop-Balladen der achtziger und neunziger Jahre, beispielsweise an Whitney Houston oder Cher, deren Songs sie an diesem Abend covert. Es ist Musik, die das große Gefühl nicht scheut. Geschrieben für unverbesserliche Romantiker, ein Soundtrack für die nicht ganz kitschfreien Momente des Lebens. Berührend ist ihr Song „Deep Water“, den sie hier an der Innersten geschrieben hat.
In ihrer Performance wechselt sie immer wieder die Tonlage, wirkt leidend und flirtet mit dem Publikum. Allzu ernst nimmt sie sich dabei nicht und überhöht zuweilen die gängigen Bühnenposen. Dem Publikum gesteht Jacid Jewel: „Ich habe diese CD nicht gemacht, um schön, berühmt und reich zu werden, sondern um Menschen zu verbinden.“ Damit ihr dies auch an diesem Abend gelingt, verschenkt sie einem jungen Herrn die Hülle von „One person play“ und einer Zuschauerin die dazugehörige CD. Ein zum Scheitern verurteilter Versuch, Menschen zusammenzubringen, da sie beide bereits vergeben sind. Allerdings nur ein kleiner Rückschlag, denn in der zweiten Hälfte des Abends hat sich das ganze Publikum zusammengefunden. Fast alle Singen gemeinsam: „Oh Champs Élysées“.
Doch nicht nur Herzschmerzlieder präsentiert Jacid Jewel, sondern neben schnelleren Stücken wie „the preacher“ auch deutschsprachige Songs aus einem früheren Kabarettprogramm. In „Männer“ verzweifelt sie an einem Macho, Ökoanhänger und Frauenversteher und gesteht in einem weiteren Lied Ulrich Wickert ihre Liebe. Dabei geht sie bis zum Äußersten: „Dein Name hat mich so inspiriert, da hab ich ihn gleich eintätowiert.“
Ebenfalls deutschsprachig wird das nächste Album. „Deine Lieder“ soll es heißen. Zwei Stücke daraus präsentierte sie an diesem Abend. Kein Kabarett, sondern so gefühlvoll wie ihre aktuelle englischsprachige CD. Dass das Konzert für Jacid Jewel ein Heimspiel ist, zeigte sich gegen Ende. Einem Fanwunsch kam sie nach und spielte ihren Tango „birdie“. Als Zugabenhöhepunkt dann ein Song von Ina Deter. Das Klavier wird gegen eine Gitarre eingetauscht und die Mutter in Köln darf über das Handy mithören. Schliesslich war sie es, die das Lied der Tochter immer vorgesungen hat. Irgendwoher muss so ein Talent ja auch kommen.

Mein Text erschien am 11. Juni 2007 in der "Hildesheimer Allgemeinen Zeitung"

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