Dienstag, 29. Mai 2007

Kunst auf der Straße

Eröffnung der Ausstellung„Kommen Sie nach Hause“

Seit 1999 gibt es sie, die alljährliche Photowanderausstellung „Kommen Sie nach Hause“.
Nicht in Museen werden die Werke präsentiert, sondern in den Wohnungen beteiligter Künstler. Am Wochenende war die Ausstellung zu Gast in Hildesheim, in den Privaträumen der Künstlerin und Dozentin An Seebach. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Nachtbar“ wurde die Ausstellung am Freitagabend eröffnet.
Teil des Konzeptes ist es, eher unfertige, skizzenhafte Werke zu präsentieren. Solche, für die das Museum der vermeintlich falsche Ort ist, eine Privatwohnung hingegen als geeignet erscheint. Die Zusammenhänge zwischen der Kunst und ihren Repräsentationsorten werden auf diese Weise hinterfragt. An Seebach und der Schauspieler Thorsten Bihegue – beide Kuratoren der diesjährigen „Nachtbar“-Saison – zeigten mit ihrer Vernissage gleich mehrere Möglichkeiten, Kunst in nichtmuseale Kontexte zu stellen. Denn vor der eigentlichen Eröffnung gab es zunächst eine Stadtführung: Vom Stadttheater bis zu Seebachs Wohnung in der Nordstadt.
„Kunst und Alltagswelt vermischen sich“ behauptet Bihegue gleich zu Beginn. Und dies scheint auch das Motto der Führung zu sein. Immer wieder verweist er auf vorgefundene Piktogramme, die er ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt und sie in neue Zusammenhänge stellt. Ein Verbotsschild, das Frau und Kind abbildet, wird so zum Beweis für eine patriarchalisch geprägte Stadt. Hinterhöfe werden als Angstorte psychologisiert, Schaukästen zu Kunstvitrinen stilisiert. Völlig ernst ist das nicht gemeint, dennoch gelingt es Bihegue den Blick zu schärfen. Dinge, denen man sonst keinerlei Beachtung schenkt, werden auf diese Weise wahrgenommen. Während Bihegue durch die Stadt führt, eilen Seebach und die Studentin Zindy Hausmann voraus und bringen an den unterschiedlichsten Orten Fotografien an, die anschließend besichtigt werden. Beispielsweise in der Almstor-Unterführung. Ein „Nichtort, der nicht mehr gebraucht wird und der danach schreit inszeniert zu werden“ so Bihegue. Hier länger zu verweilen und die kontemplative Haltung eines Museumsbesuchers einzunehmen, erscheint absurd und es ist daher umso schwieriger, sich auf die Objekte einzulassen. Mit einer Kurzinszenierung von Samuel Becketts „Quadrat“ und dem Besuch eines Parkdecks als weiteren Ausstellungsort werden die Möglichkeiten, Kunst im öffentlichen Raum zu inszenieren, durchexerziert. Während man Fotografien an Häuserwänden eher als Fremdkörper wahrnimmt, wirken sie in Seebachs Wohnung gar nicht so außergewöhnlich. Lediglich die Schilder mit den Künstlernamen verweisen auf eine Ausstellung und die Überfrachtung der Zweizimmerwohnung mit Exponaten auf eine nicht ganz alltägliche Situation. Auch wenn Werke erfolgreicher Künstler wie Jürgen Paas zu entdecken sind, findet man hier keine bekannten Bilder. Sondern vielmehr ein ungeordnetes Archiv zeitgenössischer Kunst, die nur innerhalb dieser Ausstellungsreihe eine Öffentlichkeit finden wird.

Jazz mit starken Melodien

Jazz mit starken Melodien
Das „Pär Lammers Trio“ mit Vorgruppe zu Gast bei der „Nachtbar“ im F1 des Stadttheaters

Für eine Jazz-Band ist die Besetzung des „Pär-Lammers-Trio“ nicht gerade außergewöhnlich: Piano, Schlagzeug, Bass. Umso überraschender ist ihre Musik. Von ihrem etwas anderen Jazz-Verständnis konnte man sich am Freitagabend in der Reihe „Nachtbar“ im F1 des Stadttheaters überzeugen. Doch bevor das Trio die Herzen und Köpfe der Zuschauer für sich einnahm, sorgten die Schauspieler Aljoscha Domes, Jan Gehler und Moritz Tittel mit einer Jazz-Lesung für die richtige Atmosphäre. Ein Spiel mit dem Klischee der Ernst- und Bedeutungshaftigkeit von Jazz-Musik.
Unterschiedliche Texte werden von den Schauspielern überlagert, variiert und so immer wieder neue Bedeutungsebenen geschaffen. Die DVD-Player-Gebrauchsanweisung trifft auf die Gebrauchsanweisung für die Sexstellung „Der Bildhauer“ und die Briefe Lenins auf schriftliche Jobabsagen. Dabei sind sich die drei Schauspieler auch für karnevaleske Momente nicht zu schade. Von der Torte im Gesicht bis zur Mickeymausstimme, herbeigeführt durch Helium aus dem Luftballon. Am Ende dann das „Einheitsfrontlied“ von Brecht und Weil. Ein gelangweiltes Publikum musste das Amsterdamer „Pär-Lammers-Trio“, das zuletzt in Hildesheim auf der Geburtstagsfeier des „Cyclus 66“ spielte, nicht befürchten.
Benni Wellenbeck (Schlagzeug) und Marcel Krömker (Kontrabass) legen auch sofort los. Mit einem mitreißenden Beat und einer ebenso mitreißenden Hookline. Pär Lammers (Piano) hingegen lässt sich erst einmal Zeit. Das Jackett wird ausgezogen, die Hosentaschen gelehrt. Er spielt mit der Erwartungshaltung des Publikums, kann sich dieses Spiel aber auch leisten. Denn das Trio hat etwas zu bieten. Lammers setzt ein und schon sind sie da, diese süchtig machenden Melodien. Stücke wie „Mo-Lan-Cho-lisch“ oder „All die bunten Schafe“ sind gleich vertraut und man möchte sich nicht von ihnen trennen. Dabei umschmeichelt die Musik nicht nur den Zuhörer, sondern fordert ihn gleichzeitig heraus. Denn zwischen den immer wiederkehrenden Melodiebögen liegen längere Improvisationsstrecken. Alle drei Musiker bringen sich mit ihrem Spiel virtuos ein und bilden gleichzeitig eine Einheit. Es ist eine äußerst spannungsgeladene Musik, die an die Struktur von Film-Soundtracks erinnert. Durch die Wiederholungen entsteht eine emotionale Bindung und man kann es kaum erwarten, bereits Bekanntes erneut zu hören. Ebenfalls unterhaltend sind Lammers Ansagen. Gegen die Kaufargumente für die neue CD „All die bunten Schafe“ gibt es jedenfalls nichts einzuwenden: „Gutes Cover. Gute Lieder.“
Neben den Eigenkompositionen werden in der zweiten Konzerthälfte auch bekannte Stücke neu interpretiert. Nicht etwa Jazzstandards, sondern Klassiker der Popmusik. Depech Modes „Enjoy the silence“ berührt auch ohne Dave Gahans Gesang zutiefst und wird mit besonders viel Applaus bedacht. Gehen lassen wollten die Zuschauer die Band am Ende nicht. Vor allem nicht nach der Zugabe von Oasis „Wonderwall“. Passiert sei Ihnen das angeblich noch nie, behauptet Lammers. Daher sehe er sich genötigt, einen etwas ruhigeren Song zu spielen, damit das Publikum nicht so ganz aus dem Häuschen sei. Es war die letzte Zugabe.

Ein politischer Roman

Raul Zelik liest in der Kulturfabrik zum ersten Mal aus „Der bewaffnete Freund“

Literatur soll politischer werden, etwas zu sagen haben und von gesellschaftlicher Relevanz sein. Diese Forderung wird von der Literaturkritik, aber auch von einzelnen Autoren wie beispielsweise Juli Zeh immer wieder gestellt. Der Schriftsteller Raul Zelik ist keineswegs unpolitisch, vor allem nicht mit seinem neuen Buch „Der bewaffnete Freund“. Dabei ist es keine Auseinandersetzung mit deutschen Verhältnissen, sondern mit dem Baskenland und dem Terrorismus. Ein passender Autor für die Programmreihe „Nachtzeile“, die vornehmlich Schriftsteller zu politischen und sozialen Themen in die Kulturfabrik Löseke einlädt und an diesem Abend mit Ameis Buchecke und dem Infoladen kooperierte.
Noch ist „Der bewaffnete Freund“ nicht erschienen und es ist das erste Mal, dass Zelik aus diesem Buch vor Publikum liest. Sein T-Shirt gegen den G8-Gipel ist ein klares Statement, während der Text sich einer Eindeutigkeit eher entzieht und einen differenzierten Blick auf die gewählte Thematik wirft. Welche das genau ist, erklärt Zelik zu Beginn. Er berichtet von der hohen Zahl der Basken, die in der Illegalität leben, von spanischer Polizeigewalt und vor allem auch vom Schriftsteller Joseba Sarrionandia. 1980 wurde Sarrionandia inhaftiert und 1985 während eines Gefängniskonzertes spektakulär befreit. Seitdem lebt er in der Illegalität, veröffentlicht weiterhin Bücher und ist einer der meist gelesenen baskischen Autoren. Soviel zum historischen Hintergrund des Romans. „Der bewaffnete Freund“ erzählt aus der Sicht von Alex. Einem Deutschen, der sich in Bilbao aufhält und „über europäische Identität“ forscht. Sein Freund Zubieta war es, der Sarrionandia befreite und seitdem in Brasilien im Untergrund lebt. Zubieta kehrt nach Spanien und somit auch wieder in Alex Leben zurück. Es ist ein dialoglastiger, eher handlungsarmer Roman, der beim Zuhören ein hohes Maß an Konzentration voraussetzt. Doch kleine Beobachtungen sind es, die die Lesung nicht allzu angestrengt wirken lassen. So stellt Alex beispielsweise fest: „Das Schlimmste ist das Neo-Hippieske. Backpacker, die sich für Aussteiger halten, aber in Wirklichkeit nur als neoliberale Vorhut des Pauschaltourismus unterwegs sind.“ Einige Rezensenten werden dem Text vorwerfen, thesenhaft, langatmig und verschachtelt zu sein. Ähnlich wie es vor einigen Jahren Norbert Gstreins Jugoslawienkriegsroman „Das Handwerk des Tötens“ vorgeworfen wurde. Doch gerade ein Roman mit politischem Hintergrund verlangt eine ausgewogene Erzählweise. In der anschließenden Diskussion ist Zelik direkter: Er wirft Spanien vor, selbst Mittel des Terrors anzuwenden, berichtet von Todesschwadronen und Polizeifolter. Einen Friedensprozess hält er für gescheitert und glaubt, dass die ETA wieder Anschläge verüben wird. Zelik ist sich des Exotenthemas seines Buches bewusst. Da die Europäer immer wieder die Zustände im Gefangenenlager „Guantanamo“ anklagen, möchte er den Blick auf das in Europa begangene Unrecht schärfen. And diesem Abend ist es ihm jedenfalls gelungen.

Geschrieben für die "Hildesheimer Allgemeine Zeitung". Veröffentlicht am 23.05.2007

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