Musik

Freitag, 6. Juli 2007

Zwischen Punk und Pop

Die Hildesheimer Band „BM Stereo“ zu Gast in der Kulturfabrik

Eine Sängerin und drei oder vier Jungs im Hintergrund. So die Verkaufsformel mit der „Mia“, „Wir sind Helden“ „Silbermond“ oder „Juli“ ihre Erfolge feiern. Bei der Hildesheimer Band „BM Stereo“ sind es Maik Bluemke (Gitarre), Karsten Teuber (Bass) und Sebastian Topp (Schlagzeug), die ihrer Sängerin Birte Wolter den großen Auftritt überlassen. Doch auf einer perfekten deutschen Verkaufswelle schwimmen „BM Stereo“ nicht. Gesungen wird auf Englisch und auch die Musik lässt sich von den Beschränkungen des hiesigen Musikmarktes nicht eingrenzen. Mit einer Mischung aus Punk, New Wave und Pop brachten die wirklich vielversprechenden „BM Stereo“ am Mittwochabend die Gäste zum tanzen.
Für das richtige Rhythmusgefühl sorgen zunächst „The Surfin` dudes“ mit ihrem 60er Jahre Surfrock. Eine Musikrichtung, die durch den „Pulp Fiction“-Soundtrack in den 90ern ihr Revival erlebte. Popkulturell gesehen ist die Musik der drei Hildesheimer somit der Inbegriff von Coolness.
Aber auch „BM Stereo“ sind ein Beispiel für Lässigkeit. Birte Wolter überzeugt gleich zu Beginn mit „Do anything“ von ihrer kräftigen, ausgebildeten Stimme. Mit ihrer Punkattitüde lässt sie den Gesang zuweilen brüchig werden, passt ihn der Musik an und wirkt so authentisch. Auch mit ihrem Outfit, einem schwarzweißen Secondhand-Blumenkleid und den geringelten Armstulpen, erinnert sie an die Riot Grrrl-Bewegung der 90er Jahre, in der eine Vielzahl von Sängerinnen ihr eigenes selbstbewusstes Verständnis von Rockmusik entwickelten. Fernab von männlichen Klischees. Ansonsten lässt Wolter die Musik für sich sprechen. Im Gegensatz zu den anderen Bandmitgliedern klammert sie sich an ihr Mikrophon und bewegt sich kaum von der Stelle. Ob man ihre Performance als schüchtern oder kokett auslegt, ist Ansichtssache. Als sie beim „Police“-Cover „Next to you“ Maik Bluemkes Instrument übernimmt, wird aus der introvertierten Sängerin jedenfalls eine rockende Gitarristin.
Nicht nur mit den gecoverten Stücken von „Police“, „Nirvana“ und PJ Harvey zeigen „BM Stereo“, dass sie sich in der Musikgeschichte gut auskennen. Auf ihrer Myspace-Seite verweisen sie musikalisch auf „alles was in den letzten vierzig Jahren gut und heilig war“.
Typisch für die gegenwärtige Rockmusik, die aus dem musikalischen Reichtum vergangener Jahrzehnte schöpft und dennoch einen eigenen Sound kreiert. Dabei gelingt es „BM Stereo“ mit ihrem Songwriting, die unterschiedlichsten Stile zu vereinen. Harte Grungeriffs und popige Melodien sind für diese Band kein Widerspruch. In den besten Momenten nimmt die Musik gefangen und berührt. „Colour TV“ ist so ein Beispiel. Die älteren „BM Stereo“- Stücke wurden von Wolter und Bluemke geschrieben, die neuen entstanden mit der gesamten Band im Proberaum. Als letzten Song an diesem Abend gibt es die Eigenkomposition „Sunday“. Der Song, der am ehesten an „The Strokes“ erinnert. Kein Wunder, dass „BM Stereo“ für zahlreiche Konzert gebucht sind. Vielleicht steht in diesem Jahr sogar noch eine kleine Frankreichtournee an. Dabei steht fest: Ein Land, dass den Sound von „Phoenix“ feiert, wird „BM Stereo“ sicherlich lieben.

Mein Text erschien am 06.07. in der "Hildesheimer Allgemeinen Zeitung"

Mittwoch, 20. Juni 2007

One person play

Zwölf englischsprachige Eingenkompositionen – zwischen Jazz, Blues, Pop und Musical – präsentiert Jacid Jewel auf ihrem Debütalbum „One Person Play“. Eine Begabung für den eingängigen Song zeichnet sie aus, auf Lückenfüller verzichtet sie. Jacid Jewels Gesang ist im Vergleich zum Konzert unaufgeregter, ironiefreier und stellt sich mehr in den Dienst der Stücke. Die Qualität ihrer tiefen Stimme wird umso deutlicher. Was bei der CD noch mehr als beim Konzert auffällt: Nicht alle Texte sind gelungen. Zu klischeehaft ist der Umgang mit der englischen Sprache, der zuweilen die Emotionalität der Songs stört und ihre Glaubwürdigkeit verhindert.
Die Produktion gibt den Liveklang gut wieder. Keine technischen Spielereien, aber dafür ein voller unplugged-Sound. Schnellere Stücke wie „the preacher“ verlieren kaum an Dynamik und begeistern vor allem mit ihren Klaviersoli. Für 15 Euro (einschließlich Versand) kann die CD auf www.jacid-jewel.de bestellt werden.

Mein Text erschien am 11.06.2007 in der "Hildesheimer Allgemeinen Zeitung"

Lieder für Romantiker

Eine Stimme und ein Klavier. So das musikalische Konzept der Solokünstlerin Anna-Maria Thönelt, die unter dem Künstlernamen Jacid Jewel auftritt. Auf den Punkt gebracht könnte man auch sagen: „One person play“. Unter diesem Titel ist das Debütalbum der gebürtigen Hildesheimerin erschienen. Einige der darauf enthaltenen Songs spielte sie am Freitagabend in der „Bischofsmühle“ und stellte ein vielseitiges Programm vor.
Traurig und langsam setzt das Klavier ein. „All alone“ singt Jacid Jewel mit ihrer dunklen Stimme. Ein melancholischer Song, gemacht für einen einsamen Abend an einer Hotelbar. Ein wenig wie in Sofia Coppolas Film „Lost in Translation“. Alleine ist Jacid Jewel in der gut besuchten Bischofsmühle nicht und wird vom Publikum auch nicht allein gelassen. Ein Großteil der Lieder sind Eigenkompositionen, die schon beim ersten Hören vertraut klingen. „Clinking, clanking strings“ ist so ein Beispiel. Eingängiger kann ein Refrain kaum sein. Vieles erinnert an die großen Pop-Balladen der achtziger und neunziger Jahre, beispielsweise an Whitney Houston oder Cher, deren Songs sie an diesem Abend covert. Es ist Musik, die das große Gefühl nicht scheut. Geschrieben für unverbesserliche Romantiker, ein Soundtrack für die nicht ganz kitschfreien Momente des Lebens. Berührend ist ihr Song „Deep Water“, den sie hier an der Innersten geschrieben hat.
In ihrer Performance wechselt sie immer wieder die Tonlage, wirkt leidend und flirtet mit dem Publikum. Allzu ernst nimmt sie sich dabei nicht und überhöht zuweilen die gängigen Bühnenposen. Dem Publikum gesteht Jacid Jewel: „Ich habe diese CD nicht gemacht, um schön, berühmt und reich zu werden, sondern um Menschen zu verbinden.“ Damit ihr dies auch an diesem Abend gelingt, verschenkt sie einem jungen Herrn die Hülle von „One person play“ und einer Zuschauerin die dazugehörige CD. Ein zum Scheitern verurteilter Versuch, Menschen zusammenzubringen, da sie beide bereits vergeben sind. Allerdings nur ein kleiner Rückschlag, denn in der zweiten Hälfte des Abends hat sich das ganze Publikum zusammengefunden. Fast alle Singen gemeinsam: „Oh Champs Élysées“.
Doch nicht nur Herzschmerzlieder präsentiert Jacid Jewel, sondern neben schnelleren Stücken wie „the preacher“ auch deutschsprachige Songs aus einem früheren Kabarettprogramm. In „Männer“ verzweifelt sie an einem Macho, Ökoanhänger und Frauenversteher und gesteht in einem weiteren Lied Ulrich Wickert ihre Liebe. Dabei geht sie bis zum Äußersten: „Dein Name hat mich so inspiriert, da hab ich ihn gleich eintätowiert.“
Ebenfalls deutschsprachig wird das nächste Album. „Deine Lieder“ soll es heißen. Zwei Stücke daraus präsentierte sie an diesem Abend. Kein Kabarett, sondern so gefühlvoll wie ihre aktuelle englischsprachige CD. Dass das Konzert für Jacid Jewel ein Heimspiel ist, zeigte sich gegen Ende. Einem Fanwunsch kam sie nach und spielte ihren Tango „birdie“. Als Zugabenhöhepunkt dann ein Song von Ina Deter. Das Klavier wird gegen eine Gitarre eingetauscht und die Mutter in Köln darf über das Handy mithören. Schliesslich war sie es, die das Lied der Tochter immer vorgesungen hat. Irgendwoher muss so ein Talent ja auch kommen.

Mein Text erschien am 11. Juni 2007 in der "Hildesheimer Allgemeinen Zeitung"

Dienstag, 29. Mai 2007

Jazz mit starken Melodien

Jazz mit starken Melodien
Das „Pär Lammers Trio“ mit Vorgruppe zu Gast bei der „Nachtbar“ im F1 des Stadttheaters

Für eine Jazz-Band ist die Besetzung des „Pär-Lammers-Trio“ nicht gerade außergewöhnlich: Piano, Schlagzeug, Bass. Umso überraschender ist ihre Musik. Von ihrem etwas anderen Jazz-Verständnis konnte man sich am Freitagabend in der Reihe „Nachtbar“ im F1 des Stadttheaters überzeugen. Doch bevor das Trio die Herzen und Köpfe der Zuschauer für sich einnahm, sorgten die Schauspieler Aljoscha Domes, Jan Gehler und Moritz Tittel mit einer Jazz-Lesung für die richtige Atmosphäre. Ein Spiel mit dem Klischee der Ernst- und Bedeutungshaftigkeit von Jazz-Musik.
Unterschiedliche Texte werden von den Schauspielern überlagert, variiert und so immer wieder neue Bedeutungsebenen geschaffen. Die DVD-Player-Gebrauchsanweisung trifft auf die Gebrauchsanweisung für die Sexstellung „Der Bildhauer“ und die Briefe Lenins auf schriftliche Jobabsagen. Dabei sind sich die drei Schauspieler auch für karnevaleske Momente nicht zu schade. Von der Torte im Gesicht bis zur Mickeymausstimme, herbeigeführt durch Helium aus dem Luftballon. Am Ende dann das „Einheitsfrontlied“ von Brecht und Weil. Ein gelangweiltes Publikum musste das Amsterdamer „Pär-Lammers-Trio“, das zuletzt in Hildesheim auf der Geburtstagsfeier des „Cyclus 66“ spielte, nicht befürchten.
Benni Wellenbeck (Schlagzeug) und Marcel Krömker (Kontrabass) legen auch sofort los. Mit einem mitreißenden Beat und einer ebenso mitreißenden Hookline. Pär Lammers (Piano) hingegen lässt sich erst einmal Zeit. Das Jackett wird ausgezogen, die Hosentaschen gelehrt. Er spielt mit der Erwartungshaltung des Publikums, kann sich dieses Spiel aber auch leisten. Denn das Trio hat etwas zu bieten. Lammers setzt ein und schon sind sie da, diese süchtig machenden Melodien. Stücke wie „Mo-Lan-Cho-lisch“ oder „All die bunten Schafe“ sind gleich vertraut und man möchte sich nicht von ihnen trennen. Dabei umschmeichelt die Musik nicht nur den Zuhörer, sondern fordert ihn gleichzeitig heraus. Denn zwischen den immer wiederkehrenden Melodiebögen liegen längere Improvisationsstrecken. Alle drei Musiker bringen sich mit ihrem Spiel virtuos ein und bilden gleichzeitig eine Einheit. Es ist eine äußerst spannungsgeladene Musik, die an die Struktur von Film-Soundtracks erinnert. Durch die Wiederholungen entsteht eine emotionale Bindung und man kann es kaum erwarten, bereits Bekanntes erneut zu hören. Ebenfalls unterhaltend sind Lammers Ansagen. Gegen die Kaufargumente für die neue CD „All die bunten Schafe“ gibt es jedenfalls nichts einzuwenden: „Gutes Cover. Gute Lieder.“
Neben den Eigenkompositionen werden in der zweiten Konzerthälfte auch bekannte Stücke neu interpretiert. Nicht etwa Jazzstandards, sondern Klassiker der Popmusik. Depech Modes „Enjoy the silence“ berührt auch ohne Dave Gahans Gesang zutiefst und wird mit besonders viel Applaus bedacht. Gehen lassen wollten die Zuschauer die Band am Ende nicht. Vor allem nicht nach der Zugabe von Oasis „Wonderwall“. Passiert sei Ihnen das angeblich noch nie, behauptet Lammers. Daher sehe er sich genötigt, einen etwas ruhigeren Song zu spielen, damit das Publikum nicht so ganz aus dem Häuschen sei. Es war die letzte Zugabe.

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