Regiesieger in der letzten Runde

Der 5. Wettkampfabend im "Hildesheimer Kurzdrammenwettbewerb": Matthias Spaniel gewinnt

Während in Klagenfurt die ersten Autoren um den begehrten Bachmannpreis kämpfen, ging es beim „Hildesheimer Kurzdramenwettbewerb“ – gefördert von der Universitätsgesellschaft und der Stadt Hildesheim - am Donnerstagabend in die fünfte und letzte Runde. Alexander Möckel aus Gera stellt mit „Kasperle im Zauberland“ die Märchenwelt auf den Kopf und Jürgen Bühner verhandelt mit „oben“ Fragen von Macht, Geschlecht und Sexualität. Inszeniert wurde der Dramenwettstreit von Matthias Spaniel, Student der szenischen Künste an der Universität Hildesheim.
„Zauberland ist abgebrannt“ sang einst Rio Reiser. Und auch in Alexander Möckels Stück ist nichts mehr so, wie es früher war. Der Teufel (Fabian Schütze) ist arbeitslos, denn alles Böse wurde schon einmal getan. Gretl (Anna Köpnick) wird vom fiesen Kasper (Florian Brand) verführt und vom lüsternen Großvater (Karoline Kähler) sexuell mißbraucht. Der Fuchs (Knut Gabel) findet nichts mehr zu fressen, da all die anderen aus Habgier listiger sind und wird zur Beute des Krokodils (Vanessa Lutz). Am Ende bekommt der Teufel königlich verbrieft, der sensibelste, netteste und freundlichste Mensch zu sein. Simpel ist der Rollentausch und konservativ die Weltsicht. Der Kaspar ist jetzt der Bösewicht und früher war alles besser. Eine Woche – so will es das Reglement – hatte Spaniel Zeit, aus dieser holzschnittartigen Story etwas rauszuholen. Dabei werden in der Inszenierung aus den Schwächen des Textes starke Momente. Wie in einem Kasperletheater bewegen sich die Schauspieler fast nur auf einer Linie und reden in einer überbetonten kindgerechten Sprache. Besonders schöner Einfall: Die Texte sind an Fleischerhacken befestigt und werden dramaturgisch mit einbezogen. Auch die Jury war von Möckels Drama nicht wirklich begeistert. Julia Kastner vom Theaterhaus Hildesheim kritisierte das abrupte Ende und John Birke von der Universität Hildesheim die teils fehlende klare Haltung.
Umso überraschender, dass dem zweiten Text – obwohl deutlich anspruchsvoller – mit 5,3 dieselbe Punktwertung zu Teil wurde. Jürgen Bühners „oben“ ist eine lyrische Aneinanderreihung von Wortketten und nur schwer zugänglich. Dennoch bietet das Drama für Interpretationen genügend Anhaltspunkte. Ein Dialog zwischen einem SIE (Vanessa Lutz) und einem ER (Knut Gabel), in dem es um Fragen der Machtausübung geht. Sport und Sexualität sind die Austragungsorte dieses Wettkampfes. Spaniel vertraut auf die Kraft des Textes und reduziert diesen auf ein einziges Bild: ER stemmt, auf dem Boden liegend, SIE hoch. Mit „ich / oben“ beendet SIE, über ihn schwebend und mit den Armen rudernd, das Machtspiel und wirft ihm eine Ladung Mettfleisch ins Gesicht. Spaniel ist es vor allem gelungen die beiden unterschiedlichen Stücke zusammenzuführen. Zuvor war das Fleisch Sinnbild für die Ermordung des Fuchses durch das Krokodil. Die Jury zeigte sich vor allem begeistert von der Regie. Der Kulturwissenschaftler Thomas Kästle fand es sehr schön, dass der Zuschauer zum Voyeur wird, Birke sprach von einem starken Zugriff auf den Text. Und so steht bereits fest: Spaniel erhält mit einer Bewertung von 7,3 den Regiepreis der Jury. Die vier Preise für Text und Inszenierung, verliehen von Jury und Publikum, werden am 05. Juli im Theaterhaus überreicht.

Mein Text wurde am 30.06. in der "Hildesheimer Allgemeinen Zeitung" veröffentlicht

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